Cover
Title
Karl Krumbacher. Leben und Werk


Editor(s)
Schreiner, Peter; Vogt, Ernst
Series
Sitzungsberichte der Bayerischen Akademien, Philosophisch-Historische Klasse 2011, H. 4e der Wissenschaft
Published
München 2011: C.H. Beck Verlag
Extent
147 S.
Price
€ 17,00
Reviewed for H-Soz-Kult by
Raphael Brendel, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

Jeder Althistoriker sollte auch mit einigen Grundlagen der Byzantinistik vertraut sein: Byzantinische Exzerptenwerke und Chroniken sind für die Rekonstruktion antiker Autoren von Bedeutung (so für Polybios, Diodor oder Cassius Dio), und byzantinische Schriftsteller liefern durch die Benutzung verlorener Quellen wertvolle Informationen für erheblich frühere Zeiten (so Photios, die Suda oder Zonaras). Hinzu kommt, dass das Fehlen einer verbindlichen Epochengrenze keine klare Definition erlaubt, sondern die Grenzen zwischen dem Spätantikeforscher und dem Frühbyzantinisten fließend sind.1 Angesichts dessen mag es verständlich erscheinen, dass die Würdigungen Karl Krumbachers, des Begründers der Byzantinistik als Wissenschaft, die aus einer Vortragsreihe anlässlich seines 100. Todestages am 12. Dezember 2009 hervorgingen, an dieser Stelle von einem Althistoriker besprochen werden.

Nach einem tabellarischen Lebenslauf (S. 9) und einem Verzeichnis der Nachrufe und Würdigungen (S. 10f.) referiert Albrecht Berger über „Karl Krumbacher und seine Zeit“ (S. 13–26). Weitgehend auf Basis der Vorarbeiten von Dölger und Aufhauser, auf die er sich eingangs auch explizit beruft (S. 13), skizziert er die einzelnen Stationen des Lebens Krumbachers, namentlich Jugend und Studium (S. 14–18), die griechische Reise und die Zeit als Lehrer (S. 18f.), die Begründung der Byzantinischen Zeitschrift und des Byzantinistischen Seminars (S. 19–21) sowie die späteren Jahre (S. 22–24). Daran schließt sich ein Kapitel über „Karl Krumbacher als Mensch“ (S. 24–26) an, in dem Berger zeigt, dass Krumbacher keineswegs auf den unermüdlichen und daher oft gesundheitlich angeschlagenen Wissenschaftspionier zu reduzieren ist, sondern außerdem zahlreiche Freundschaften pflegte, sich gerne im geselligen Kreis seiner Schüler aufhielt und – solange ihm dies zeitlich möglich war – sich mit großem Interesse der Malerei widmete.

Franz Tinnefeld gibt einen Überblick zur Geschichte der Byzantinistik als Wissenschaft von den Anfängen im 17. Jahrhundert bis in die Gegenwart (S. 27–37). Er listet darin die Vorarbeiten der Gelehrten vor Krumbacher auf (S. 27f.), die sich keineswegs auf die Edition der Schriftquellen beschränkten, sondern mit Studien zur Diplomatik, Paläographie und Numismatik auch wichtige Beiträge zu den „Hilfswissenschaften“ der byzantinischen Geschichtsforschung lieferten. Nach einer Darlegung des Weges, der Krumbacher zur Byzantinistik führte, und der Leistungen seiner Forschungen (S. 28–34) zeigt Tinnefeld seine Bedeutung für die Byzantinistik als Wissenschaft auf, die in der mit Mühe durchgesetzten Einrichtung eines entsprechenden Lehrstuhles bestand, und skizziert sodann die Geschichte dieses Lehrstuhles und seiner Bibliothek (S. 34f.). Als zweite große Leistung Krumbachers hebt er die Vorarbeiten für das Corpus der griechischen Urkunden hervor (S. 35f.).

Peter Schreiner behandelt das wissenschaftliche Werk Krumbachers (S. 39–61). Er betont die Vielseitigkeit Krumbachers, der als Philologe (S. 43), Sprachwissenschaftler (S. 43f.), Texteditor (S. 45–48), Folklorist (S. 49–52), Literaturwissenschaftler (S. 52–56), Kritiker und Rezensent (S. 56–59) sowie als Wissenschaftsorganisator (S. 59f.) hervorgetreten ist. Schreiner zeichnet das Bild eines Gelehrten, der nicht nur durch die Begründung eines Lehrstuhles für seine Fachrichtung, sondern auch durch die Vielfalt seiner Forschungsgebiete und die souveräne Beherrschung dieser einzelnen Felder herausragte. Ernst Vogt befasst sich mit Karl Krumbacher als Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (S. 63–82): Er unterteilt seinen Beitrag in die Abschnitte zur Vorgeschichte (S. 63–82), zum Wissenschaftler Krumbacher und seinem Verhältnis zur Akademie (S. 68–74), zur Tätigkeit Krumbachers auf Kongressen und Wahlen (S. 74–78) und zum Organisator Krumbacher im Rahmen der Akademie (S. 78–80). Ein kurzes abschließendes Kapitel befasst sich neben dem hinterlassenen Material mit der nicht zu klärenden Frage, ob Krumbacher an der Sitzung am 4. Dezember 1909 teilgenommen habe (S. 80–82), die Vogt nach Sammlung des Materials zu Recht unbeantwortet lässt.

Als Anhang, der fast die Hälfte des Bandes ausmacht (6815 Briefe von 1360 Personen!), wird ein Verzeichnis der Briefe aus dem Nachlass Karl Krumbachers in der Bayerischen Staatsbibliothek gegeben. Nach einer kurzen editorischen Vorbemerkung (S. 85–87) folgt die Liste (S. 88–147). Hier fällt auf, dass der Kreis der Personen eine noch größere Breite als die Forschungen und Interessen Krumbachers hat: Neben Byzantinisten und Slavisten finden sich Historiker und Sprachwissenschaftler aller Richtungen, zahlreiche Personen griechischer Herkunft (von Erzbischöfen und Athosmönchen über Theologen und Dichter bis hin zu Ärzten), Verlage und Verleger und möglicherweise sogar ein Bergwerksbesitzer (S. 117: J. A. Lappos). Einige Briefpartner Krumbachers mit größerem Bekanntheitsgrad seien hier genannt: Julius Beloch, Joseph Bidez, John Bagnell Bury, Franz Cumont, Richard Delbrück, Alfred von Domaszewski, Adolf von Harnack, Ludo Moritz Hartmann, Camille Jullian, Wilhelm Kroll, Paul Krüger, Karl Johannes Neumann, Eduard Norden, Giovanni Battista de Rossi, Franz Rühl, Otto Karl Seeck, Curt Wachsmuth, Georg Wissowa, Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Eduard von Woelfflin und natürlich Theodor Mommsen, von dem 25 Briefe an Krumbacher erhalten sind. Ein Kritikpunkt zu dieser Liste sei jedoch angemerkt: Es wäre praktischer gewesen, die Liste in fachbezogene Kategorien zu unterteilen und dieser dann einen alphabetischen Gesamtindex beizufügen. So hätte ein Benutzer sich schnell einen Überblick zu den Kontakten Krumbachers beispielsweise zu den Althistorikern oder den Mittelalterforschern seiner Zeit verschaffen können, ohne dafür die ganze Liste abarbeiten zu müssen.

Insgesamt handelt es sich um einen mit Ausnahme des eben genannten Kritikpunktes uneingeschränkt lobenswerten Band, der Krumbachers wissenschaftlichem Wirken gerecht wird: Die Beiträge verraten fachliche und sprachliche Kompetenz, ohne dabei dem Nichtbyzantinisten unverständlich zu werden, und bilden eine kurzweilige Lektüre. Auch der (nicht mehr selbstverständliche) hohe Standard in formellen Fragen ist hervorzuheben. Eine künftige Biographie Krumbachers, die schon lange ein Desiderat ist2, wird diesen Band mit Gewinn benutzen können.

Anmerkungen:
1 Als prominentes Beispiel hierfür – die Liste der Namen ließe sich lange fortsetzen – sei Wilhelm Enßlin (1885–1965) genannt, der neben seinen Forschungen zur Spätantike auch bewusst in der Byzantinistik tätig war, wie seine Beiträge in byzantinistischen Überblickswerken und seine Literaturberichte zur byzantinischen Geschichte zeigen.
2 Es sei an dieser Stelle noch auf ein für die Wissenschaftsgeschichte der Byzantinistik interessantes Projekt verwiesen: Derzeit bearbeitet Iris Schledermann an der Ludwig-Maximilians-Universität ihr Dissertationsprojekt mit dem Titel „Der Byzantinist und Bibliothekar Franz Dölger“ (betreut von Prof. Marie Janine Calic, Ost- und Südosteuropäische Geschichte), das sicherlich weitere wertvolle Erkenntnisse zum byzantinischen Seminar in München und seiner Entwicklung hervorbringen dürfte.

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